artischocke

Art&Schock - Geschichten und Verbeigeströmtes, Text und Essay

Samstag, Juli 30, 2005

1000+3, Marktgeschehen

Auf der Liege liegt ein blonder Mann, die nackten Füße zum Publikum gestreckt. Der Mann des Standes, in frisch-leuchtend roter Uniform, reibt ihm einen Fuß ein. Ihn umgeben weiße Töpfe, Tiegel und Flaschen mit rotem Aufdruck medizinischer Anmutung. Der Rote erklärt die Wirkung des Mittels auf die Hornhaut. Es handelt sich um ein Mittel gegen dieselbe. Neben dem Liegenden, der aus einem kindlichen, neugierigen Gesicht guckt, steht sein Freund und gestikuliert. Der Rote hat den rechten Fuß des Liegenden besprüht, mit Watte bedeckt und umwickelt ihn nun mit Klarsichthülle – „für eine bessere Wirkung“. Der Liegende, im Zentrum kleinbürgerlicher Aufmerksamkeit, schaut unbeteiligt neben sich auf seinen Freund und dessen Hände. Der Liegende hat einen blauen Knopf in der Ohrmuschel. Sein Freund erklärt ihm in Gebärdensprache die Witze und Pointen des roten Schaustellers und, was es bei der Anwendung des Produkts zu beachten gilt. Der Rote wickelt bald den Fuß aus, entfernt die Watte und zückt ein Messer. Erstreift damit längs über die Ferse des Opfers, um zu zeigen, dass die Klinge stumpf ist. Das Publikum raunt. Dann beginnt der Rote, mit dem Messer die entblößte Fußsohle abzuschaben. Der Liegende zuckt kaum merklich und sein Gesicht zeigt eine verzückte Erheiterung. „Ich weiß, das kitzelt jetzt ein wenig“, sagt der Rote. Er schabt mit dem Schaber die obere Haut ab und hält die Klinge in die Höhe. Von Nahem ist eine schlammbraune zähe Masse zu sehen. Es sieht nicht appetitlich aus. Zum Vergleich hievt der rote Medikamentenverkäufer den zweiten Fuß auf die Kante der Liege. Der ist dreckig vom Laufen in Flipflops; der andere Fuß ist rosig.
Eine Frau hat ihren Daumen zum Ausprobieren zur Verfügung gestellt und mit Watte einwickeln lassen. Nun nimmt der Rote ihren Finger zwischen seine um schabt und bürstet daran herum. Die Frau soll sagen, wie es sich nun anfühlt. Der Liegende will auch den blanken Daumen sehen; das sagt er, indem er sich nach vorne beugt und nach ihrer Hand greift, die er sofort bekommt. Begeistert schaut er auf ein perfekt bereinigtes Nagelbett. Kurze speit zäter schlendern der Taube und sein Freund Arm in Arm die Stände mit den Haushaltsgegenständen, Hosenträgern, Reiben, Stoffen und Gewürzen entlang. Der eine hat beim gehen den Eindruck, sein linker Fuß sei höher als sein rechter, eine empfindliche Asymmetrie. Sein Freund trägt im Rucksack eine Lotion mit rotem Aufdruck. Vielleicht war alles nur Dreck.

Freitag, Juli 29, 2005

1000+2: Er und Tasten

Er baute die Tastatur seines Computers falsch herum vor sich auf und versuchte zu tippen. Alles war falsch, alles ging falsch, es kostete eine Konzentration ohne Ende. Er bemerkte, daß er alles automatisiert hatte. Jetzt hatte diese umgedrehte Tastatur etwas von Kochstudio: achsengespiegelt vorführen, damit die anderen den Vorgang perfekt sehen und nachvollziehen können. Er schaute aus seinem Fenster, ob irgendwer seine Demonstration zu schätzen wisse. Da schaute aber niemand. Er nahm sich vor, in Zukunft immer so zu tippen. Die Hoffnung blieb ihm, daß er für jeden Satz so lange brauchen würde, daß er nur noch das Wesentliche zu schreiben hätte.

Dienstag, Juli 26, 2005

1000+1 >Existenz<

Ein Stuttgarter arbeitet in Frankfurt. Er fährt jedes Wochenende heim. Er kennt Frankfurt nicht. Er arbeitet immer bis acht abends. Zwei mal war er aus, als Kollegen ihn in Diskos mitgenommen haben. Die waren angesagt. Einmal gab's Essen und Massage gratis. Das andere mal Hiphop. Und den Ebbelwoi-Express hat er mal gesehen. Da haben die Leute betrunken rausgewunken. Naja, das könne man mal machen, sagt er um einer gutaussehenden Stuttgarterin, die auch in Frankfurt lebt, zu gefallen. Aber er verachtet die Stadt. "Isch arbeit eh nur bis August", sagt er, "warum soll isch da die Stadt möge?"
Dieser Mann wohnt nicht in Frankfurt und nicht in Stuttgart, sondern in einem Großraumbüro der Deutschen Bank.

Sonntag, Juli 10, 2005

Tour de France

Wie sehen die FAhrer der Tour eigentlich aus? Ausnahmslos schmal und drahtig, sehnig, aber auch zu dünn für den Hochleistungssport, als dass sie nicht auf anderem WEg zu den Energien kämen.... Da ist von scharfen Dopingkontrollen die Rede, trotzdem brettern sie mit einer horrenden Durchschnittsgeschwindigkeit durch das Hexagon. Magersüchtig ist noch die harmlosere umschreibung dieser Kunstkörper. Ausgezehrt, jeder Muskel sichtbar. Ist es glaubwürdig, dass da nicht irgendwelche Hormone oder Botenstoffe oder andere Hilfen im Spiel sind, um bei den wenigen Kraftreserven nicht vom Rad zu fallen?
Schlotter,

Donnerstag, Juli 07, 2005

Generation X zum Gedenken

Nun ist es über zehn Jahre her, dass der Begriff der Generation X mit dem gleichnamigen Buch von Douglas Coupland in aller Munde kam. Was er beschrieb – gut ausgebildete junge Menschen in McJobs – hat sich seit einiger Zeit auch in Deutschland als Tatbestand herausgestellt.
Der Generation X folgte der Begriff der Generation Golf. Anlass waren die selbstreflexiven, banalen und bauchpinselnden Betrachtungen der Popjournalisten Illies, von Schönburg, Kracht und Co. (Stuckrad-Barre durfte im Sammelband „Tristesse Royal“ als Décadent hinzutreten, obwohl er viel zu jung war.), die sich nun als Generation Golf proklamierten. Darauf erfolgte die Empörung über eine Generation, die in den 70ern (mit Golf!) aufwuchs. Die Kollektivschelte durch das Feuilleton, wie man sie versnobten Kindern aus reichem Hause doch gerne angedeihen lässt, führte vielleicht dazu, das von Schönburg sich inzwischen darauf verlegt hat, mit Tipps zum stilvollen Verarmen sein Auskommen zu finden.

Nun ist diese Urgeneration in der Klemme. In der „Zeit“ hat man sie inzwischen in die Generation Praktikum, die „schwimmende“ Generation umbenannt. „Die karrierebewussteste Jugend, die es je gab, macht wahrscheinlich am wenigsten Karriere.“, hieß es. Hängt in Jobjobs, in Praktika, in spärlichen Aufträgen, hat viel Bildung in sich reingepumpt und muss zusehen, wie sie jemals ein ok- Auskommen reinfährt oder gar eine Mitbestimmung im gesellschaftlichen und kulturellen Ganzen erlangt (ohne den Weg über das Parteibuch).

Beide Male liegt die Diagnose über die Leute in der Hand derer, die nicht zur Generation gehören. Das Phänomen wird beschrieben aber die Leute kommen nicht zu Wort, mischen sich nicht ein. Diese Generation ist im stummen Prekären verhaftet, weder direkt auf A II noch in den angestrebten Positionen. Sie wird aus der politischen Debatte ausgeschlossen, nicht mitgedacht. Bei einer Politik, die der Privatisierung der Hochschulen das Wort redet (ein Vorwand, um andere Finanzlöcher zu stopfen, nicht um die Ausbildung zu verbessern.)
Diese Generation X hatte noch an klassische Bildung geglaubt. Und ist damit die lost Generation, zerrieben auf dem Scheideweg von einer trägen, sicherheitsbewussten Struktur der deutschen Arbeitswelt zu neuen Spielregeln, die mit „globaler Kapitalismus“ nur unzureichend und hämisch beschrieben sind.

Der Weg der Generation X, Golf und Praktikum ist lang und anstrengend.

Mittwoch, Juli 06, 2005

So, jetzt neophyt im blog

!Guten Tag!

Man kann darüber sinnieren, was eine so stachelige und bittere Pflanze für Erwartungen weckt. „Es fängt mit einem A an...“ Ein geheimnisvolles Gewächs. Galletreibend. Das Herz so schmackhaft aber die blättrige Umkranzung zäh. Fast ein Tier. Ich nehm sie eher aus der Dose als selbst gekocht... An anderer Stelle mehr dazu.
Keine Sorge: Rezepte gibt’s hier weniger. Sondern Art & Schock, Literatur und Politik, Abschweifendes und Kommentar - und Comic!